Lob des Ortsvereins

Veröffentlicht am 17.11.2006 in Politik

Den Volksparteien laufen die Mitglieder weg - und das Land ahnt gar nicht, was es dabei verliert (von MATTHIAS KRUPA, entnommen der „Zeit“)

Eine Ära geht zu Ende, und die Kinder werden einmal fragen, wie das war. Damals, als die Großväter (ja, es waren viel mehr Männer als Frauen) abends in den verrauchten Hinterzimmern schmuckloser Gaststätten über Ortsumgehungsstraßen diskutierten oder über den Atomausstieg. Als fröhliche Trupps am Wochenende auszogen und Plakate klebten, als Handwerker und Lehrer in den Fußgängerzonen unter bunten Sonnenschirmen Luftballons verteilten und sonntags zum Frühschoppen ihre Parteifreunde trafen: den Nachbarn, den Kollegen, den Bäckermeister.
Ja, so war das, werden die Großeltern sagen, damals, als es noch Volksparteien gab in diesem Land und die Ortsvereine in West-deutschland noch lebendig waren. Damals? Die Parteimanager seufzen seit langem.
Zusammengerechnet haben CDU und SPD in den vergangenen 15 Jahren mehr als eine halbe Million Mitglieder verloren. Etwas besser stehen die kleinen Parteien da - und in Bayern die CSU. Besonders getroffen hat es die SPD: Von 943 000 Sozialdemokraten Anfang der neunziger Jahre sind im Oktober 2006 nur noch knapp 570 000 übrig geblieben. Macht Tag für Tag fast 70 Genossen weniger. Auch die CDU hat in den vergangenen Jahren im Durchschnitt täglich 35 Mitglieder verloren. Und in beiden Parteien ist ein Ende dieser Entwicklung nicht in Sicht.
Denn selbst dort, wo sich Eintritte und Austritte die Waage halten, führt die Überalterung der großen Parteien zwangsläufig zu einem weiteren Schwund. 46 Prozent der CDU-Mitglieder sind älter als 60, nicht wesentlich weniger sind es bei der SPD. So viele Junge können gar nicht eintreten, wie Alte sterben.

Der Hinweis auf die Sterbetafeln ist wichtig, denn er schützt vor falschen Interpretationen - etwa vor der Behauptung, die Große Koalition, die nun seit einem Jahr regiert, sei schuld an der anhaltenden Parteienflucht. Nur einmal haben die Mitglieder der beiden Volksparteien in den vergangenen Jahren überhaupt erkennbar und in großer Zahl auf ein konkretes Ereignis reagiert: 2003 und 2004, als der Schröderschen Agenda-Politik eine Welle von Austritten aus der SPD folgte. Doch das war eine Ausnahme. Ansonsten ist die personelle Auszehrung von CDU und SPD chronisch: Ihre Ursachen wurzeln tiefer als der akute Verdruss über diese oder jene Politik. Die SPD habe »vor Ort den Anschluss an breite Bevölkerungsschichten« verloren, heißt es in einer Analyse des Willy-Brandt-Hauses, über die der Spiegel berichtet. Ein Befund, der vielerorts auch auf die CDU zutrifft. Die Folgen sind erheblich.
Zunächst gilt das für die Parteien selbst. Weniger Mitglieder bedeuten weniger Einnahmen - und damit weniger Plakate, weniger Luftballons, weniger Geschäftsstellen. Das müsste man noch nicht beklagen. Aber es geht um mehr.

Die Parteien, ungeliebt und gern verachtet, haben bislang den Rahmen abgesteckt, in dem sich unsere Demokratie entwickelt hat. Weniger Mitglieder bedeuten auch weniger Engagement, weniger Debatten, weniger Repräsentativität, kurzum: eine geringere Verankerung der Politik in der Bevölkerung. Man mag die Welt der Ortsvereine grauslich finden, man mag die Nase rümpfen über ihr Milieu, sei es kleinbürgerlich oder proletarisch, über Parteisoldatentum und Funktionärswesen - unter dem Strich haben sie ihre Aufgabe als Ort, an dem Politik organisiert und diskutiert wurde, ganz gut erfüllt. Wie schwer es die Demokratie ohne ein solches Wurzelgeflecht hat, kann man in vielen ostdeutschen Regionen beobachten, wo CDU und SPD seit jeher wenig Mitglieder haben und schon heute vielfach die Kandidaten für öffentliche Ämter fehlen. Im Westen wird es schon bald ähnlich sein.
Denn es gibt kein Zurück, die Welt der Ortsvereine kehrt nicht wieder. Viele von denen, die überhaupt noch mitmachen, treten heute per Mausklick ein: Online-Mitglieder, die sich nur schwer verpflichten lassen. Insgesamt werden die Volksparteien weiter schrumpfen. Und was kommt dann? Eine Vielzahl kleiner und kleinster Parteien? Lose Wahlvereine, die sich zwanglos um einzelne Kandidaten scharen? Oder andere Volksparteien, schmalere Tanker, die mit weniger Besatzung zu neuen Ufern aufbrechen?
Keine dieser Optionen muss schlecht sein. Nur eines ist unverzichtbar - Engagement und ein Mindestmaß an Verbindlichkeit. In den Ortsvereinen hat es hieran selten gefehlt.

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