Wenn wir heute Abend in den Kurpfalz-Horizonten unter der Überschrift „Das Schweigen brechen“ diskutieren werden, dann tun wir dies einen Tag, nachdem die Evangelischen Kirchen ihre Missbrauchsstudie vorgestellt haben.
Seit 2010 gibt es eine Geschichte von Studien, von Erklärungen, von Versuchen der Aufarbeitung des schrecklichen Missbrauchs, den es in Kirchen, aber auch vielen anderen Institutionen gab. Ich rede bewusst von Versuchen der Aufarbeitung. Denn auch bei der gestern vorgelegten Studie konnte nur auf einen Teil der Akten zurückgegriffen werden. Zur Wahrheit gehört also: Neben den Versuchen der Aufarbeitung gab es auch immer Versuche der Deckelung und Verschleierung.
Wenn Betroffene das Schweigen brechen – davon erzählen, welche Verbrechen sie erleiden mussten – haben sie es dann nicht verdient, dass wir als Gesellschaft und als Staat alles unternehmen, um Aufarbeitung zu ermöglichen?
2010 wurden zuerst Fälle am Canisius-Kolleg, dann im Kloster Ettal, dann bei den Regensburger Domspatzen öffentlich. Kurz darauf: Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger kritisiert zurecht den mangelnden Aufklärungswillen der katholischen Kirche. Und der damalige Vorsitzende der Bischofskonferenz Robert Zollitsch beschwert sich bei Angela Merkel über die so unhöfliche Ministerin. Seit der Freiburger Studie wissen wir: Zollitsch hat strukturell und vorsätzlich Missbrauchsfälle vertuscht.
Im Sommer 2010 gibt es Berichte über Missbrauchsfälle in der evangelischen Kirche. Vertuscht von der damaligen Hamburger Landesbischöfin Maria Jepsen, die darauf zurücktreten muss. Eine Aufarbeitungskommission hat die EKD bis heute nicht.
2018 legt die katholische Kirche die MHG-Studie vor. Zum ersten Mal wurden dabei bundesweit Akten der Diözesen gesichtet und Zahlen zu Betroffenen und Tätern veröffentlicht. Der Reformprozess „Synodaler Weg“ ist eine Konsequenz aus der Diskussion zur MHG-Studie.
Hochrechnungen aus den Teilzahlen der ForuM-Studie, die gestern vorgelegt wurden, zeigen ein Gesamtbild, nachdem es sowohl in der katholischen als auch der evangelischen Kirche unerträglich viele Missbrauchsfälle in annährend gleichem Ausmaß gab.
Und es melden sich zunehmend Betroffene aus Bildungseinrichtungen, Sport oder Vereinen zu Wort, die das Schweigen brechen. Ist es nicht an der Zeit, dass wir auch als Gesellschaft das Schweigen brechen und offen die Wahrheit aussprechen: Wir müssen als Gesamtgesellschaft einen Aufarbeitungsprozess sichern.
FOTO DER WOCHE
Vier Schulbesuche standen in den letzten Tagen auf der Agenda. Es ist mir wichtig, mit den Jugendlichen ins Gespräch zu kommen und offensiv für unsere Demokratie zu werben. (Foto: David Heger)